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Wenn die Angst sich in den Alltag einschleicht

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5 Stunden nachdem letzen Artikel auf dieser Seite ereignete sich das, was keiner gewollt, aber viele befürchtet hatten. In einem anfänglichen fast rührenden Telefonat mit dem neu gewählten Präsidenten gratulierte der noch Amtierende ihm vor laufenden Kameras zur gewonnen Wahl. Das war am Abend des 2. Dezembers. Am Abend des 9. Dezembers zog der scheidende Präsident die Zustimmung zu seiner Niederlage wieder zurück und erklärte, dass er alles dafür tun würde, im Amt zu bleiben.

Als erste Reaktion fühlte sich die Bevölkerung irgendwie belustigt. Das Wochenende verging und jeder hoffte, dass er noch zur Besinnung kommt. In den Folgetagen kamen Staatspräsidenten aus anderen West-Afrikanischen Ländern, um Überzeugungsarbeit zu leisten. Selbst seine Mutter und eine Gruppe der wichtigsten Imame des Landes versuchten ihn zur einer friedlichen Übergabe zu überreden. Doch alles blieb ohne Erfolg. Inzwischen steigerte sich seine Wortwahl in hasserfüllte Drohungen mit der Verwendung des Wortes „Krieg“ und schlug schließlich in die Aberkennung der Wahlergebnisse um. Er fordert es vor dem obersten Gericht zu klären und will am 10.1. Neuwahlen per Gericht erzwingen. Derzeit ist es ein Hin-und Her der Richter, ob sie bleiben oder gehen. Die Situation ist derzeit sehr unübersichtlich.


In den Nachrichten sickern immer mehr Informationen durch, dass viele Regierungsmitglieder schon das Land verlassen haben. Das ist einerseits verständlich, doch schürt es auch die Angst, dass sie vielleicht etwas wissen, was der Bevölkerung vorenthalten bleibt. Aber immer wieder ist die Rede davon, dass die Vereinten Nationen sehr bald helfen werden, das Chaos zu beenden. Doch was bedeutet das? Kaum etwas anderes, als den Einmarsch ausländischer Soldaten. Die große Frage ist dann, auf wessen Seite stehen die Soldaten. Davon hängt jetzt viel ab. In vielen Artikeln im Internet melden sich hochrangige Offiziere zu Wort, die die Soldaten überzeugen wollen die Waffen niederzulegen. Dennoch ist das Straßenbild derzeit voll von Soldaten, die, warum auch immer, überall wohl die Stärke des noch amtierenden Präsidenten zeigen sollen.

Immer wieder bemerkenswert ist für mich die unterschiedliche Einschätzung der Situation der verschiedenen Menschen in Gambia. Die Gambianer haben noch nie in ihrem Land einen Krieg erlebt, und fürchten sich mehr und mehr. Viele suchen ihren Weg in die Provinzen oder in das Nachbarland Senegal. Vielerorts sind die Geschäft geschlossen, so dass beispielsweise Namensgebungszeremonieen von Neugeborenen nur mit Mühe mangels nahegelegenen Einkaufsmöglichkeiten durchgeführt werden können. Diejenigen, die beschließen in Gambia zu bleiben, sorgen mit Hamsterkäufen vor. Andere wiederum, die schon zwei Weltkriege hinter sich haben, und in einer Demokratie aufgewachsen und sozialisiert wurden, glauben an das Gesetz und die Gerechtigkeit, und sind voller Hoffunungen, dass alles zu einem guten Ende kommt, und Wunder über Wunder, es kommen immer noch Touristen nach Gambia. Derzeit ist Hauptsaison, und sie sind da, für jeden sichtbar. Doch für die Gambianer: 22 Jahre ohne Demokratie, wo soll da der Glaube an die Gerechtigkeit herkommen?

Nach den neusten Meldungen plant der „scheidende“ Präsident nun eine Doppelregierung. Er weiß, er kann die Vereidigung des neuen Präsidenten nicht stoppen, so verkündete er jetzt, dass es dann eben zwei Vereidigungen geben wird. Laut Presse sind die T-Shirts für seine Followers schon bedruckt.

Die Angst vor Gewalt breitet sich aus wie Nebelschwaden, schleichend und unhörbar. Manchmal spürst du, wie sich dir die Brust zuschnürt, dann kommen die beruhigenden Gedanken, dass Hilfe von Außen kommen wird. Die Frage ist nur wann und wie. Doch wer auch immer wann und wo und gegen wen kämpft, weder die einheimischen Soldaten noch die ausländischen hätten einen Grund auf die Wähler des neu gewählten Präsidenten zu schießen. So beruhigt man sich dann immer wieder. Gerüchte machen die Runde, aber das ist wohl normal in der Situation, denn jeder schnappt etwas auf und gibt es dann per stille Post weiter. Am Ende steht dann oft ein Hororszenario, das zunächst nie so gesagt wurde. Es gibt noch viele weitere Aussagen, die ich hier nicht wiederholen möchte, da ich sie weder bestätigen noch verneinen kann. Es wird viel geschrieben und gesprochen, manches glaubwürdig, anderes weniger, aber eins ist sicher: Mut machen geht anders.

Unter dem Hashtag #Gambia has decided wurden viele Poster und Plakate in der Stadt aufgehängt. Sie sollen die Freude der Gambianer über den Wechsel zum Ausdruck bringen. Diese Plakate wurden nun gestern von Soldaten wieder enfernt. Auf Twitter geht jetzt die Frage um, was die Soldaten wohl mit den T-Shirts machen, auf denen #Gambia has decided steht.

Neu ist auch, dass jetzt bei jeder Begegnung die Menschen sich zu irgendeinem Zeitpunkt des Gesprächs immer gegenseitig ermutigen, für den Frieden zu beten. In der Häufigkeit hatte ich das vorher nie erlebt. So lasst uns alle dafür beten, dass es einen friedlichen Machtwechsel gibt.

Und dann am Morgen auf WhatsApp wieder Bilder von bewaffneten Soldaten aus Nigeria, die an der Grenze zu Senegal stehen. Nach dem Anblick dieser Bilder fuhr ich ins Büro, seltsam betroffen. Auf dem Weg kam ich an einem aufgeblasenen Weihnachtsmann vorbei, der für die 5% Christen im Land aufgestellt wurde. Mit den Bildern der bewaffneten Soldaten im Kopf, kam mit diese Aktion irgendwie lächerlich vor.


Bei meinen Mitarbeitern war es natürlich auch wichtigstes Gesprächsthema und auch bei ihnen teilen sich die Meinungen, von voller Panik bis total relaxed. In diesem ganzen Durcheinander ging ich in mich und suchte nach meiner Position.

Ich kam mit einer Mission hierher, um den Armen meine volle Unterstützung anzubieten. Für sie da zu sein, ihnen mit Freunden aus Deutschland in ihrer Not beizustehen. Nun hat sich die Art der Not verändert von der Armut zur bewaffneten Bedrohung, die jedoch ja nicht in erster Linie gegen uns gerichtet ist. Dennoch käme ich mir schäbig vor, meine etwas bessere Position auszunutzen und diejenigen, denen ich helfen will, im Stich zu lassen.

Nach neusten Grüchten soll nun auch noch der gesamte Flugverkehr zwischen dem 1.1. und dem 20.1. zum Stillstand kommen, keine Landungen und Abflüge. Also ist es mit dem Ausreisen auch nicht mehr so einfach. Auch die Botschaften sind in ihrem wohlverdienten Weihnachtsferien.

Als gläubiger Mensch bleibt da noch das Beten und die Zuversicht, dass alles, was passiert genau so sein soll. Es ist eine Prüfung für uns alle, die gemeistet werden will. Eure Gebete für die Menschen in Gambia sind höchst willkommen.

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