Als ob die allgemeine Armut nicht schon reicht, Krisen machen es nicht besser, oder doch?
Irgendwie war es abzusehen, dass so etwas mal kommen muss. Diese immer höher, immer weiter, immer schneller Mentalität war kaum noch zu ertragen, und für die Erde gab es schon deutlich sichtbare Zeichen, dass wir Menschen an ihr Raubbau begehen. Die viel beschworene Globalisierung ist an einem kritischen Punkt angekommen. Das war uns allen schon länger klar, und doch haben wir nur oberflächig reagiert, da uns ein Leben mit Superlativen weitaus wichtiger war.
Und auf der anderen Seite, in anderen Kulturen, in denen nur persönliche Kontakte üblich sind, werden neue Wege online gefunden. So entwicklen sich neue Möglichkeiten für alle im Bewusstsein für andere.
Wie immer im Leben, wenn wir etwas ändern sollen, aber nicht wollen, kommt ein Ereignis, das uns radikal umdenken lassen muss. Diesmal in Form eines Virus.
Corona, sein Name, ein lateinisches Wort, das Krone aber auch Belagerungsring heißt. Beide Bedeutungen passen wie die Faust aufs Auge. Corona, sagt mir, dass hier jemand die Krone aufhat, und dass wir uns wie in einem Belagerungszustand befinden, brauche ich wohl nicht näher zu erklären.
Doch genau das spaltet die Nation. Für die einen ein zu autoritäres Verhalten, für ein Grippevirus, an dessen Vorgänger auch jedes Jahr Tausende sterben. Worte wie Panikmache und Überwachungsstaat sind häufiger zu hören.
Für die anderen ist das Virus eine echte Gefahr, weil unbekannt und kein Gegenmittel vorhanden. Da wir uns wegen der Kontaktsperre jedoch nicht persönlich darüber austauschen können, muss das Internet herhalten, und es wird geschimpft und vermutet und Verschwörungstheorien finden ihren Anfang.
So lasst uns nur von wirklichen Fakten sprechen, da selbst die Infizierten- und Todeszahlen mittlerweile von einigen angezweifelt werden. Doch obwohl das Virus vieles durcheinander wirbelt, gibt es deutliche Zeichen für uns. Wer genauer hinschaut, kann sie bei sich selbst und seiner Umgebung entdecken.
Durch das zu Hause bleiben wird der Wir-Prozess wieder beschleunigt, was die Gesellschaft der Superlative uns hat verlernen lassen. Wir lernen wieder Gemeinsamkeit. Populisten haben kein Gehör mehr. Show-Offs sind nicht mehr gefragt, weil nicht mehr wichtig.
Die Zwangspause der persönlichen Kontakte schafft die Sehnsucht nach Nähe. In meinen halbjährigen Besuchen in Deutschland, stellte ich vermehrt fest, dass immer weniger persönlicher Kontakt zu Menschen, die mir viel bedeuten mehr möglich war. Für Telefonate musste ich mich verabreden, und spontane Telefonate wurden nicht gut angenommen. Nun, nachdem es nicht mehr möglich ist, sich persönlich zu sehen, und die diversen Ablenkungen des Tages wegfallen, entdecken viele ihre Liebe zu ihren Mitmenschen wieder. Durch zu viel Online, zu viel Schreiben statt sprechen steigt die Sehnsucht nach persönlichen Kontakten und der Wir-Prozess wird wieder neu beschleunigt.
Prioritäten verschieben sich, neue Wege tun sich auf, und jeder definiert sich und seine Maßstäbe neu. War das nicht vielleicht schon lange nötig?
Diese Prozesse ziehen in Wellen um die Erde und durch die Jahrhunderte. Es gibt immer wieder Epidemien oder Pandemien die wachrütteln sollen, die verändern sollen, was aus dem Gleichgewicht gerutscht ist. Sie sollen zur Reflexion und Maßhalten animieren. So öffnet das Virus die Augen für neue Möglichkeiten.
In Deutschland, beschränkt sich die Veränderung zunächst auf die Schau nach innen. Doch was ist mit den Ländern, die sowieso schon von der Hand in den Mund leben, und denen nun die Lebensgrundlage entzogen wird?
Auch in diesen Ländern wird das Leben auf den Kopf gestellt. So berichte ich nun über Gambia stellvertretend für das Land der Armut im Titel.
In den meisten Ländern südlich des Äquators gibt es keine sozialen Netze, die die von Armut betroffene Menschen auffangen. Da heißt es dem existentiellen Aus ins Auge zu blicken und daran zu wachsen oder eben unterzugehen. Und glaubt mir, wenn man fällt, fällt man sehr tief.
So sprach der Präsident Gambias am Abend des 17.3. in einer Fernsehansprachen, dass das Virus nun in Gambia angekommen sei und verschiedene Maßnahmen in Kraft treten werden. Die erste war es, alle Schulen und Universitäten mit sofortiger Wirkung zu schließen und alle Versammlungen von mehr als 10 Personen sind verboten. 10 Tage später verkündete er dann, dass es 3 infizierte Personen gäbe und schränkte das Leben weiter ein. Die Sammeltaxis sollen nur noch die Hälfte der Passagiere mitnehmen, und alle Geschäfte, die kein Essen verkaufen, werden geschlossen.
Er versprach, dass es keine Preiserhöhungen geben wird und die Preise stabil bleiben. Selbst die Gewerkschaft der Transportunternehmen versprach stabile Preise trotz halbierter Passagierzahlen.
Doch was passierte tatsächlich? Die Reispreise stiegen täglich um ein paar Cent an, und die Sammeltaxis erhöhten auf manchen Strecken den Preis um das Dreifache. Dumm nur, als an einigen Verkehrsknotenpunkten die Polizei die Fahrzeuge anhielt und die Passagiere befragte, wie viel sie gezahlt hatten. Auf die ehrliche Antwort eines Fahrgastes wurde dann das gesamte Fahrzeug inklusive Passagiere zur nächsten Polizeistation gefahren, und es wurden Vernehmungen und Zeugenaussagen zu Protokoll gegeben.
So lassen in der Armut die einen auch schon einmal ihre Landsleute bluten. Als ob es nicht schon alles schwer genug ist. Doch das hatte ich in Afrika schon recht schnell gelernt. Nicht jeder denkt so, aber in der Armut ist sich jeder schon gerne selbst der nächste.
Nun mehren sich die Anrufe bei uns, dass Geschäfte und Restaurants von der Regierung geschlossen wurden, und die Betroffenen nun nicht mehr wissen, wie sie ihre Kinder ernähren sollen. Hartz 4 und Arbeitslosengeld gibt es nicht, also bleibt wieder nur der nackten Realität ins Auge zu blicken. Schaffen wir es, oder gehen wir daran zu Grunde. So erschreckend das alles klingt, birgt auch diese Situation Chancen.
Den Besitzer eines Imbisses beispielsweise brachten wir nun auf die Idee seine Speisen vielleicht als Lieferservice an die umliegenden Banken anzubieten. Dass dafür ein paar kleine Investitionen nötig sind, ist verständlich, doch welche Wahl hat er? Er muss die Miete für seine Wohnung bezahlen und Frau und seine drei Kinder (10,7,3 Jahre) ernähren.
So sehe ich mich jetzt plötzlich in der Rolle einer Unternehmensberaterin, muss Business-Pläne schreiben und den Betroffenen sowohl Mut zusprechen als auch Ideen geben, wie sie aus der Krise so unbeschadet wie möglich wieder herauskommen.
Der Tourismus, die größte Branche in Gambia, liegt völlig am Boden. Seit gut 3 Wochen sind fast alle Touristen abgereist und alle Flugzeuge sind am Boden. Der „Tourist-Market“ ist geschlossen und alle Händler und Kunsthandwerker ohne Einkommen. Ganz zu schweigen von den Hotelangestellten.
Doch selbst im ganz privaten Bereich gibt es Einbußen. Hausangestellte wie Putzfrauen sollen nicht mehr kommen und Nachhilfelehrer sind in den Familien auch nicht mehr willkommen. So haben die Schüler für die nächste Zeit weder Schule noch privaten Unterricht zu Hause, und die Lehrer kein Einkommen, und dass obwohl die Oberschüler gerade mitten im Examen waren.
Der Präsident hat verkündet, dass er 10 Mio Euro für die Krise zur Verfügung stellt, doch leider hat er nicht erwähnt wie er das Geld aufteilen wird. So braut sich im Land eine Unruhe und Angst zusammen, da viele Menschen um ihre Existenz bangen.
„Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihm nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“
Max Frisch
Hier ist jetzt viel Kreativität gefragt, um dieser Situation den Beigeschmack der Katastrophe zu nehmen, doch noch möchte ich den Gedanken nicht loslassen, dass vielleicht auch darin eine Chance liegt. Besonders, wenn wir eingefahrene Strukturen durch neue ersetzen. Meine persönlichen Erfahrungen sagen mir, dass wir aus jeder Krise auch gestärkt hervorgehen können, dass neue Strukturen ein Vorhaben oft in eine bessere Richtung bringt.
Wir werden bereit sein und auch ihnen in ihrer größten Not helfen. So Gott will. Sprachen wir nicht anfänglich von einer Krone? Der Mensch denkt, Gott lenkt. Ich denke hier hat nur EINER die Krone auf.