Jede Entwicklung, und besonders Entwicklungen mit einer großen Tragweite, bringen sowohl Gewinner als auch Verlierer hervor. Da die Globalisierung jedoch nicht einem Masterplan folgt, sondern ein sich dynamisch entwickelndes Phänomen ist, bleiben immer auch Akteure zurück, denen dieses Szenario mehr schadet als hilft.
Doch um genauer in das Thema einzusteigen, schauen wir uns einmal an, was Globalisierung eigentlich ist.
Definition
Die gängigste Definition für Globalisierung lautet:
„Globalisierung ist die weltweite Verflechtung in den Bereichen Wirtschaft, Politik, Kultur, Umwelt und Kommunikation.“
Damit sich eine Verflechtung harmonisch darstellt, sollten seine Stränge gleichmäßig verteilt sein. Im übertragenen Sinne sollte es ein Geben und Nehmen sein, eine Kooperation gleichgestellter Partner. Doch der Globalisierungsprozess lehrt uns anderes. Die Chancen- und Handlungs-Asymmetrie aller Beteiligten ist unverkennbar.
Die wirtschaftlich stärkeren Länder geben den ärmeren Länder die Richtung vor, diese müssen sich fügen und sind so in der Weltwirtschaft die großen Verlierer.
Abgrenzung zum Neokolonialismus
In diesem Zusammenhang wird auch gerne das Wort Neokolonialismus genannt. Meist politische Gruppen sehen nach der Versklavung, dem Kolonialismus nun als dritte Form den Neokolonialismus in dem Vorantreiben der Abhängigkeiten der Dritte-Welt-Länder von den Industrieländern (USA, Europa und nun auch China) und in ihm eine Fortsetzung des Imperialismus. Der erste, der dieses Vorgehen in einer öffentlichen Arbeit thematisiert hat, war Kwame Nkrumah, Ghanas erster Staatspräsident, in seinem Werk „Neokolonialsm the last stage of imperialism“.
Das Wesen des Neokolonialismus besteht darin, dass der Staat, der ihm unterworfen ist, theoretisch unabhängig ist und alle äußeren Insignien internationaler Souveränität besitzt. In Wirklichkeit wird aber sein Wirtschaftssystem und damit seine politische Politik von außen gelenkt.
Besonders die Welthandelsorganisation WTO, der Internationale Währungsfond IWF und die Weltbank unterstützen die Schaffung dieser neuen Abhängigkeiten. Sie entscheiden über die Vergabe oder Nichtvergabe von Krediten und Förderungen in Bildung, Wirtschaft und Gesundheit und verhindern somit unter Umständen eine erfolgreiche Entwicklung des Landes in der Weltwirtschaft.
Vorteile der Globalisierung
Wer von der Globalisierung spricht, sieht in der Regel aber nicht nur Nachteile. Besonders die Jugend empfindet die Öffnung nach Aussen, sich kulturell, im Lifestyle, aber auch in der Bildung mit anderen Ländern vergleichen zu können, als ein hohes Gut.
„So kam kurz vor der Fertigstellung dieses Artikels ein Management-Student zu uns und zeigte seine Bachelorarbeit über die Bedeutung der Globalisierung für die Jugend Gambias. Er hatte dazu eine Umfrage bei 240 Studenten gemacht. Das Ergebnis bei den Studenten war durchwegs positiv. Sie alle empfinden die Globalisierung als einen positiven Schritt zur Öffnung Gambias in Richtung Industriestaaten. Durch das Internet haben sie Zugang zu den weltweit anerkannten Größen ihres Faches und können Chancen wahrnehmen, die sie vorher nie gehabt hätten.
Alle Vor- und Nachteile hier aufzuführen, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, doch werde ich mich hier auf die Punkte beschränken, die eine Relevanz für Gambia haben.
Absatzmärkte
Für die Industrieländer haben sich viele neue Absatzmärkte ergeben. Handelsabkommen und Bi-laterale Verträge haben die Exportmöglichkeiten der produzierenden Länder bis ins Unermessliche ansteigen lassen. Für Gambia heißt das im Besonderen, dass Güter aller Länder ins Land kommen und somit den Gambiern mehr Auswahl und Produktvielfalt geboten werden kann.
Digitale Vernetzung
Die technologische Weiterentwicklung ermöglichen blitzschnelle Übertragungen von Informationen und das Internet bietet kostengünstiges Wissen in Schriftform, Audio- und Videoübertragungen weltweit.
Interkontinentaler Personen- und Frachtverkehr
Von den erweiterten Transport- und Mobiliätsmöglichkeiten macht in erster Linie der Handel Gebrauch. Güter, die vorher nur mühsam ins Land gebracht werden konnten, können jetzt über den See- und Luftweg die Entwicklungsländer erreichen. Auch die Reisemöglichkeiten sind international und interkontinental gegeben, wenn auch die Mehrheit der schwarzen Bevölkerung kein eigenes Aufenthaltbestimmungsrecht hat.
Nachteile
Globalisierung zerstört Authentizität
Mit den erweiterten Absatzmärkten der Industrieländer, besonders der asiatischen, kommt aus Kostengründen eher minderwertige Qualität mit kurzer Haltbarkeitsdauer auf den gambischen Markt. Das zerstört den lokalen Markt und leistet eine Abkehr von der eigenen Kultur Vorschub und löst ein Problem mit nicht recyclebarem Müll aus.
Raubbau an den Ressourcen der Entwicklungsländer
Die Industrie- und Schwellenländer haben in den Entwicklungsländern die Möglichkeit entdeckt, günstig an deren Ressourcen zu kommen. Frei nach dem Motto „a beggar has no choice“ (ein Bettler hat keine Wahl) treiben die Handelspartner großen Raubbau an den Naturressourcen der Entwicklungsländer. Diese sind von den Einnahmen abhängig und haben keine andere Wahl als die Angebote anzunehmen.
Bildung
Das Bildungssystem in den Entwicklungsländern hat keine Chance sich im internationalen Vergleich zu behaupten, da ihnen die Mittel und im Besonderen die qualifizierten Dozenten fehlen, um hier auf ein internationales Niveau zu kommen.
Globalisierungskritik
Um den Ansprüchen des Weltmarktes und den Handelsabkommen gerecht zu werden, mussten die Entwicklungsländer Schulden bei IWF, Weltbank und dem Afrikanischen Entwicklungsfonds aufnehmen. Schulden ohne Rückzahlungsgarantie verschärfen die Asymmetrie der Industrie- und Entwicklungsländer noch erheblich.
In diesem Sinne äußerte sich auch Jeffrey Sachs, Berater des damaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan in Fragen der Wirtschaft und Entwicklung, als er 2004 einen kompletten Schuldenerlass (rund 200 Mrd. US-Dollar) für die afrikanischen Länder forderte und die betroffenen Regierungen aufforderte, ganz einfach die Zahlungen an IWF und WB einzustellen, falls diese nicht zustimmten:
„Die Zeit ist gekommen, diese Scharade zu beenden. Die Schulden sind unerschwinglich. Wenn sie die Schulden nicht erlassen, würde ich eine Blockade empfehlen; tun Sie es selbst. Afrika sollte sagen: ‚Danke sehr, aber wir brauchen dieses Geld, um die Bedürfnisse unserer Kinder, die heute sterben, zu stillen. Also werden wir die Beträge statt in die Schuldentilgung in drängende soziale Investitionen stecken, in Gesundheit, Bildung, Trinkwasser, die Kontrolle von AIDS und andere Notwendigkeiten.“ Africa ’should not pay its debts‘, BBC News, 6. Juli 2004 (eigene Übersetzung).
Tatsächlich gab es dann 2005 einen Schuldenerlass, bei dem die Schulden bei Währungsfonds, Weltbank und Afrikanischem Entwicklungsfonds gestrichen werden konnten. Doch seit 2008 steigt die Verschulung wieder an.
Ndongo Samba Sylla hat es in seinem Artikel „Ein neues Paradigma ist fällig“ sehr treffend formuliert:
Afrikanische Länder sind aufgrund von Unterentwicklung und asymmetrischen internationalen Beziehungen verschuldet. Um der Schuldenfalle zu entkommen, brauchen wir ein internationales System, das armen Ländern Spielräume gibt, ihre Landwirtschaft und Industrie ökologisch nachhaltig zu entwickeln. Wir brauchen keinen harten Wettbewerb, sondern ein solidarisches Globalisierungsparadigma.
Soweit die offizielle Kritik der Presse. Doch um genauer zu verstehen, welche Auswirkungen die Globalisierung für die Menschen in Gambia hat, gebe ich hier eigene Beobachtungen an konkreten Beispielen wieder.
Für Gambia bedeutet die Globalisierung in erster Linie eine Abkehr von traditionellen Werten. Da Gambia keine eigene Industrie hat, sondern von kleinen Manufakturen, wie Schneider, Möbeltischler und Schumacher lebt, verlieren diese Berufsgruppen jetzt zunehmend ihre Arbeit, da die „Ready made“-Artikel aus Übersee auf den ersten Blick so viel attraktiver sind. Wohlhabende Geschäftsleute aus dem Ausland eröffnen Großhandel für die Waren aus Übersee, die die lokalen Geschäfte dann ihren Kunden anbieten.
Durch das Satellitenfernsehen und das Internet werden Wünsche nach dem Lifestyle der Industrieländer geweckt. Amerikanische Filme sind die Trendmaker der Jugend. Die Jeans aus den USA oder eine Tasche oder Schuhe aus Italien wiegen heutzutage in vielen Familien schon mehr als die bei der Hitze viel angenehmer zu tragende traditionelle Kleidung.
Doch auch bei der Lebensmittelversorgung setzen immer mehr Haushalte auf die Supermarktware als auf die frische im eigenen Land produzierten Waren der Marktverkäufer. Doch tun sie das nicht aus Life-Style-Gründen, sondern überwiegend aus Unwissenheit.
„In einem Gespräch mit einer Freundin erfuhr ich, wie viele Gambier über beispielsweise importiertes Hühnerfleisch denken. Sie sagte, dass sie lieber das „saubere“ Huhn aus dem Ausland isst, als die lokalen Hühner, von denen man nicht weiß, was sie alles gefressen haben. Wenn sie wüsste, womit die Tiere im Ausland gefüttert werden, würde sie wohl anders entscheiden.“
Auswirkungen der weltweiten Kommunikationsmöglichkeiten
Der Blick nach Übersee bekommt eine größere Bedeutung. Durch die Sozialen Medien ist es immer einfacher, bei den Vorbildern und Idolen virtuell in die Privaträume vorzudringen und ihren Lebensstil zu sehen und zu kopieren. Leider entgeht ihnen dabei, dass jeder Lifestyle ja auch ein gewisses Mindset benötigt, und dass es eben dieses Mindset ist, dass diese Idole dort hingebracht hat, wo sie heute stehen.
So warten überwiegend die jungen Männer auf die Retterin (Touristin) aus Europa, die sie heiratet und z.B. nach Deutschland bringt. Mittlerweile sind es so viele Männer, die diese Tätigkeit ausüben, dass sie schon eine Berufsbezeichnung haben: Bomster. Eigenen Beobachtungen nach hat keine einzige dieser Ehen in meinem Bekanntenkreis gehalten, da die Motivation beider Partner für die Ehe so unterschiedlich waren wie sie unterschiedlicher nicht sein können.
Da diese Aussicht jedoch für viele junge Männer mittlerweile die einzig akzeptable ist, verbringen sie ihre Zeit ausschließlich damit, am Strassenrand zu sitzen, Tee zu trinken und gegen Abend dann im Internet-Café oder auf dem Handy in Facebook nach weißen Frauen Ausschau zu halten.Kommen diese Frauen dann nach Gambia, werden sie so lange umworben bis die heiß ersehnte Hochzeit und die darauf folgende Familienzusammenführung stattfindet.
Wir als NGO bekommen wöchentlich Anfragen von jungen Frauen, die Geld nach Gambia zu ihren „Verlobten“ oder Freunden aus dem Internet geschickt haben, und ob wir nicht einmal nachschauen könnten, was mit dem Geld passiert ist.
Natürlich gibt es auch ehrlich gemeinte Heiratsanträge und Ehen, die dann aber von beiden Seiten mit anderen Motiven eingegangen werden.
Bildung
Nicht viel besser sieht es mit dem Bildungssystem aus: In den Schulen überfüllte Klassen, in der Regel ausschließlich Frontalunterricht. Nach eigenen Zählungen können die Eltern von nur 6 von 40 Schülern einer Klasse die Schulgebühren selbst bezahlen, alle anderen benötigen Sponsoren aus dem Ausland.Zu diesem Zweck gibt es viele NGO’s, die sich einzig auf die Vermittlung von Schulgebühren spezialisiert haben. Auch bei uns ist die Bildung ein großer Teil der angebotenen Hilfe.
Auch an der Universität gibt es diverse Scholarships von ausländischen Anbietern oder von der gambischen Regierung selbst. Nur sind diese nicht immer für alle verfügbar, die die Kriterien erfüllen. Außerdem verpflichtet sich jeder Student mit einem Stipendium der Regierung für mehrere Jahre für einen Minimallohn in ihren Diensten zu arbeiten.
Doch was das eigentlich Bedenkliche ist, es gibt kaum einen Master-Studiengang in Gambia. Diesen in Europa zu bestreiten kostet mehr als 7000€ nur für das erste Jahr. Doch die Bürokratie, um dieses Projekt anzugehen, ist schon eine oft unlösbare Herausforderung und der Preis für eine Familie, deren Durchschnittsgehalt ca 80€ monatlich ist, ist auch nicht stemmbar.Wie genau Bildung in Gambia funktioniert und was wir selbst erlebt haben, habe ich in meinem Artikel „Studieren in Gambia“ beschrieben.
Raubbau an der Natur
Gambia hat keine Bodenschätze und als nachwachsendes Exportgut, könnten maximal Erdnüsse, Mangos, Bananen und Süßkartoffeln in Frage kommen. Doch die Erdnüsse sind für den internationalen Markt zu klein und Abnahmegarantien und Verträge für die Mangos, Bananen und Süßkartoffeln sind schon anderen Ländern gegeben worden. Von Gambia wollen die „Geber“-Länder etwas anderes haben.
„Kürzlich bin ich an einem Konvoi von 9 Tiefladern vorbeigefahren, die Baumstämme von gigantischem Durchmesser geladen hatten. Ein Hafenmitarbeiter erklärte mir trocken: „Das sind Mahagoni-Bäume auf dem Weg nach China.“
Diese Antwort wurde so emotionslos ausgesprochen, doch in mir brodelte es. Eine Verödung des Landes aufgrund von Armut? 100 Jahre alte Bäume, deren Aufholzung wieder genauso lange dauert, aber in der Regel nicht angegangen wird. Ein Gespräch mit unserem Tischler bestätigte meine Vermutung. Es gibt immer weniger Holz in Gambia und die Preise steigen. Als ich die Preise für ein Regal abgefragt hatte, sagte er, dass ich mich schnell entscheiden soll, die Preise steigen wöchentlich.
Ausverkauf der Fischereirechte
Als NGO waren wir selbst kurzzeitig Besitzer eines Fischerbootes. Die Absicht war, Arbeitsplätze zu schaffen und unsere Bedürftigen mit Fisch zu versorgen. Aber wir hatten die Rechnung ohne die Globalisierung gemacht. Tag für Tag war der Fang klein, oder es gab gar keine Fische. Gewundert hatte ich mich schon immer über die vielen senegalesischen Autos, die am Strand standen und am Abend vollbepackt mit Menschen und Fischen wieder zurück gefahren sind.
Wir fragten und recherchierten und versuchten so viel Informationen wie möglich zu bekommen. Schließlich fanden wir heraus, dass Senegal seine Fischereirechte verkauft hatte und die großen schwimmenden Fischfabriken vor Senegals Küste alles leer fischen.
Eine Zwei-Meilen-Zone sollte für die einheimischen Fischer frei bleiben. Doch die Fischerei-Schiffe der Europäer kamen nachts auch in die Zone der Senegalesen und fischten auch dort alles weg. So kamen die senegalesischen Fischer eben nach Gambia, um dort zu fischen.
Mittlerweile hat Gambias Präsident die Fischereirechte auch verkauft und Gamibia ereilte das gleiche Schicksal. Einen ausführlichen Artikel über das Thema „Armut, Schicksal oder Absicht!?“, habe ich an anderer Stelle veröffentlicht.
Nun sehen auch die Schwellenländer, allen voran China ihre große Chance über die Afrikaner an Geld zu kommen. Ein großer Skandal spielt sich derzeit an Gambias Küste ab. Fischmehlfabriken von Chinesen erbaut, beschäftigen nur wenige Arbeiter, verarbeiten aber Tonnen von Fischen zu Fischmehl, um es dann in die Welt als hochwertiges Viehfutter zu exportieren.
Wie sehr könnten auch die Gambier den Eiweißlieferant Fisch gebrauchen. Denn Fleisch kostet genauso viel wie in Deutschland und ist somit nicht erschwinglich. Den Überschuss der an diesem Tag nicht verarbeiteten toten Fische kippen sie an den Strand, was einen fürchterlichen Gestank mit sich bringt.
Einen sehr guten Artikel haben die Netzfrauen dazu geschrieben. Chinesische Fischmehlfabriken zerstören in Gambia die Umwelt, die Küstenökosysteme und Lebensgrundlage
Ähnlich verzweifelt sind die Bauern Gambias. Durch das Agrardumping der Europäer, die ihre Überproduktion zu Niedrigpreisen auf den afrikanischen Markt werfen, können die Bauern und Gärtnerinnen ihre Preise nicht mehr halten und ihnen bricht ihr Einkommen weg, das sie so sehr brauchen, um noch ein wenig Eigenständigkeit zu behalten. Aus Senegal ist bekannt, dass viele Bauern ihre Ländereien jetzt brach liegen lassen müssen.
Abwanderung
Die intuitive Erkenntnis der Jugend, kaum Chancen im eigenen Land zu haben, der sehnsüchtige Blick nach Übersee, keine Chance auf Arbeit, kostenpflichtige Bildung, nur noch wenig Einkommen aus der Landwirtschaft … die Jugend des afrikanischen Kontinents wird quasi systematisch zur Abwanderung gezwungen. Ihre Chancen auf dem heimischen Arbeitsmarkt sind gering und damit ihre Aussicht auf eine Familie und eine bessere Zukunft für ihre Kinder. Aus dieser Ausweglosigkeit entscheiden sich tausende Gambier jedes Jahr, den gefährlichen Weg durch die Wüste Richtung Europa zu nehmen. Nach dem Motto „alles ist besser als hier zu bleiben“. Die detaillierten Gründe habe ich in meinem Artikel „10 Gründe warum Gambier unbedingt nach Europa wollen“ erklärt.
Die Chancen, sich im Ausland ein neues Leben aufzubauen, sind nicht immer gegeben. Viele Abschiebungen und nicht selten psychische Störungen nach der Rückkehr. Oft haben die Eltern alles verkauft, was sie hatten, um dem Sohn die Reise zu ermöglichen. Wenn er dann ohne etwas erreicht zu haben wieder zurückkommt, ist das ein harter Schlag für die Familie.
Noch schlimmer ist es, wenn die Flüchtlinge Spielbälle der Politik werden. Im September 2021, drei Monate vor der Präsidentschaftswahl in Gambia, weigerte sich der Präsident 2000 abgeschobene Gambier zurückzunehmen. Gegenseitiges Drohen war die Folge und eine immer schlechter werdende Reputation für die Gambier im Ausland. Eine mögliche Folge könnte sein, dass nun erst recht Gambier kein Bleiberecht in Deutschland mehr bekommen.
Einige Gambier, die das Land verlassen, sind verheiratet und lassen Frau und vielleicht kleine Kinder zurück. Selbst wenn sie die Reise schaffen, sie werden eine Zeit lang entweder in der Illegalität leben oder auf ihre Papiere warten müssen.
Einige dieser zurückgelassenen Ehefrauen sind Antragsteller in unserem Büro, ebenso wie die Mütter der Jungen, oft Witwen, die die Unterstützung der Söhne so dringend bräuchten. Stattdessen bekommen sie oft weder ein Lebenszeichen noch Geld. Nur wenige, die es geschafft haben, können dann regelmäßig Geld schicken. Impressionen dazu in meinem Artikel „Ein Land an der Nabelschnur Europas“.
Die Witwen als größte Verlierer
Doch jene, die die Globalisierung am härtesten trifft und die weitaus größte Gruppe, die Hilfe bei uns sucht, sind die Witwen. Wir haben uns oft die Frage gestellt, warum es so viele Witwen gibt. Dazu haben wir folgende Beobachtungen gemacht.
Die Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck, Schlaganfall sind in Gambia noch nicht lange bekannt. Folglich gibt es unter den gambischen Ärzten auch nicht so spezialisierte Fachkenntnisse. Ein Mangel an zum Teil einfachen Blutdruckmitteln kann daher auch schon einmal zum Tode führen.
„Die Mutter eines uns sehr nahe stehenden jungen Mannes fühlte sich eines Abends nicht so gut. Der Rest der Familie schlief schon, da beschloß sie, in das nahe gelegene Krankenhaus zu gehen. Dort diagnostizierten sie einen sehr hohen Blutdruck. Aber anstatt sie direkt zu versorgen (aus Mangel an Medikamenten), schickten sie die Frau mit einem Krankenwagen in das Hauptstadtklinikum. Noch im Auto verstarb sie mit nur 46 Jahren.“
Durch die Abwanderung der vielen jungen Männer gibt es im Land unverhältnismäßig mehr Frauen als Männer. Den jungen Frauen bleibt dann oft nichts weiter übrig, als die 2.,3. oder 4. Frau eines oft schon sehr viel älteren Mannes zu werden. Wenn dieser dann stirbt, bleiben bis zu vier zum Teil noch sehr junge Frauen als Witwen zurück.
Unter unseren Antragstellern sind häufig auch Frauen, die ihren Mann auf dem Weg nach Europa verloren haben. Nach den vielen Jahren der gefährlichen Auswanderung durch die Wüste und das Mittelmeer haben mittlerweile viele Familien ihre Söhne und viele Frauen ihre Ehemänner verloren.
So kommen die meist noch recht jungen Frauen mit oft sehr vielen Kindern in unser Büro und wissen nicht mehr weiter. Die Kinder sind entweder zu klein, um einer Arbeit nachgehen zu können, oder die Mutter kann die Schulgebühren nicht bezahlen, also sind alle Kinder zu Hause. Oder es kommen ältere Frauen, deren Söhne Backway gegangen sind, und die nichts mehr von ihren Kindern gehört haben.
Eine andere Gruppe von Frauen kommt zu uns, die selbst im Women’s Garden ein wenig gärtnern und versuchen, noch etwas Geld für das tägliche Essen zu verdienen, es aber für fünf bis sechs erwachsene Kinder und ebenso viele oder mehr Enkelkinder einfach nicht reicht. Die erwachsenen Kinder finden in der Regel keine Arbeit, weil viele von ihnen nie zur Schule gegangen sind.
Die Verzweiflung der Frauen löst sich oft in Tränen an meinem Schreibtisch. Keine Chancen auf ein regelmäßiges Einkommen, keine Sicherheiten, sie legen ihre ganze Hoffnung in Gottes Hände. Als ob das nicht schon alles schwierig genug ist beim Blick auf die Anmeldeformulare fallen mir dann die unterschiedlichen Nachnamen der Kinder auf. Die Erklärung ist so einfach wie traurig und löst bei mir eine immense Bewunderung für die Frauen aus, denn nicht selten werden diesen Witwen auch noch Waisenkinder anvertraut.
„So kam beispielsweise eine Witwe zu uns, deren Mann verstorben war und kurz vorher die Zweitfrau. Nun war sie als Analphabetin verantwortlich dafür, 11 Kinder zu ernähren.“
Meine demütige Hochachtung für diese starken Frauen ist grenzenlos. Wie würden wir in einer solchen Situation reagieren?
Sie können nichts für ihre Situation. Sie wurden geboren, sind zu jungen Frauen herangewachsen, meist ohne jede schulische Bildung, haben geheiratet und selbst Kinder bekommen. Ein Lebenslauf, an dem nichts Verwerfliches ist. Sie sind nicht politisch, provozieren niemanden und wollen einfach nur ihren Alltag leben. Und doch sind sie die Verlierer der Globalisierung. Sie können selbst nichts ändern an ihrer Situation. Sie als Witwen versuchen ihr Leben und das Leben ihrer Waisen und Halbwaisen zu retten.
Meine Hoffnung
Als Verein unterstützen wir 500 Familien bei den unterschiedlichsten Problemen. Zur Zeit haben wir einen Anmelde-Stop, da wir mit dem Bearbeiten der Anträge nicht hinterher kommen. Für die derzeit 64 neuen Antragsteller haben wir nicht genug Sponsoren, die die größte Not lindern könnten. Zur Verdeutlichung, wie sich unsere Antragsteller zusammensetzen, hier eine kleine Statistik:
- 27 Witwen
- 10 Geschiedene
- 12 Frauen, deren Männer keine Arbeit haben
- 9 Familien, deren Ernährer krank ist
- 6 Schüler für Schulgebühren
Mich betrübt, dass sich diese Zahlen verändern. Waren es noch vor kurzem ausschließlich Witwen, die in unser Büro kamen, sind es heute Witwen, Geschiedene, Arbeitslose und vor allem auch Männer. Sie sind bisher so gut wie gar nicht gekommen, aus Scham, ihre Familie nicht ernähren zu können. Doch verändert sich die Lebenssituation bei vielen Familien wegen der Globalisierung und der Pandemie so drastisch, dass nun auch Männer den Weg in unser Büro finden. Doch können Männer mit etwas Glück noch Arbeit finden. Doch die Witwen haben in der Regel weder die Möglichkeiten noch die Qualifikationen ihre Situation selbst zu ändern.
Dieser Blog heißt Empathy-Mitgefühl. Lasst uns Empathie zeigen und diesen Frauen ihr Leben etwas liebenswerter machen. Selbstverständlich brauchen sie mehr als Reis, doch mit einem monatlichen Sack Reis könnten sie die Mägen ihrer Kinder füllen.
„Eine unserer Reis-Witwen kam bei der letzten Reisausgabe zu mir ins Büro und sagte wie dankbar sie sei für den Reis. Mit etwas Zucker darauf würden ihre Kinder satt werden und nicht hungrig schlafen gehen.“
Sie brauchen unsere Hilfe. Bei jedem politischen Prozess gibt es Gewinner und Verlierer. Bitte helft mir, dass es diese starken Frauen, die unter die Räder der Globalisierung geraten sind, nicht ganz so hart trifft.
Ein Sack Reis kostet 25€ pro Monat. Vielleicht ist es dir ja möglich, eine Witwe bei der Versorgung ihrer Kindern zu unterstützen. Wir unterstützen derzeit 140 Witwen mit Reis, doch die Liste ist noch lang.
Wenn DU einer Witwe helfen möchtest, schreib mich bitte an. Ich zähl auf dich.

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